Kulturerbe. Repräsentation, Fabrikation, Vermarktung

Kulturerbe. Repräsentation, Fabrikation, Vermarktung

Organisatoren
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, in Kooperation mit der österreichischen UNESCO-Kommission
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
06.11.2003 - 08.11.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Martina Nußbaumer, Wien/Graz

Fragen um Gedächtnis, Tradition und um das kulturelle Erbe einer Gesellschaft spielen nicht nur in aktuellen kulturwissenschaftlichen Debatten, sondern auch in der Praxis kulturpolitischen Handelns eine zentrale Rolle. So bildeten die erhitzten öffentlichen Diskussionen um die Neugestaltung des Bahnhofsareals Wien Mitte und die Vereinbarkeit dieses Bauprojekts mit dem angestrebten UNESCO-"Weltkulturerbe"-Titel für die Wiener Innenstadt - dessen Verleihung nach einer Neuausschreibung des Projekts im Oktober 2003 erfolgte - für die Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auch den Anstoß, den 5. Internationalen Kongress ihres Forschungsprogramms "Orte der Gedächtnisses" der Frage nach der Repräsentation, Fabrikation und Vermarktung von "Kulturerbe" zu widmen. Die Debatte um das städtebaulich umstrittene Hochhausprojekt warf grundsätzliche Fragen nach der Definition und dem Umgang mit "Kulturerbe" im Spannungsfeld von Bewahrung und Veränderung auf - Fragen von Brisanz und Aktualität besonders auch für die UNESCO-Kommission als "Fabrikateur" von "Kulturerbe", deren österreichisches Büro sich an der Konferenz als Kooperationspartner beteiligte.

Wesentliche Leitgedanken der Konferenz bildeten die Betonung der prinzipiellen Mehrdeutigkeit von "Kulturerbe" und der Notwendigkeit einer "Praxis der Heterogenität", die der Homogenisierung komplexer ethnisch-kultureller Situationen durch eindeutig definierte Gedächtnisorte entgegenwirkt. Anil Bhatti (New Dehli) wies in seinem Eröffnungsvortrag über das kulturelle Erbe des Kolonialismus anhand zweier eindrucksvoller Fallbeispiele aus Indien auf die Gefahren und Potentiale solcher als "Kulturerbe" definierter Gedächtnisorte hin: In Ayodhya im mittleren Norden Indiens zerstörten im Dezember 1992 hinduistische Fundamentalisten die dortige Babri-Moschee, die, so das Argument der Zerstörer, 1528 über den Grundmauern eines ebenfalls zuvor zerstörten hinduistischen Tempels errichtet worden sei, der den Geburtsort des mythischen Gottes Rama markiere. Im seither schwelenden Rechtsstreit um die weitere religiöse Nutzung des Ortes wurde die "Archaeological Survey of India" mit der "Wahrheitsfindung" und Suche nach einer eindeutig zuordenbaren "Urschicht" betraut - vertritt man wie Bhatti eine Auffassung von Kultur als Palimpsest, wird die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens deutlich. Dass es durchaus auch Auswege und Möglichkeiten des produktiven Umgangs mit solchen Gedächtnisorten gibt, zeigte Bhatti an einem zweiten Beispiel aus dem Panjab: Dort ließ ein religiöser Sikh-Führer nach seinem Sieg über Hindus und Moslems im 17. Jahrhundert als Zeichen des Friedens eine Moschee erbauen, die sich bis heute durch die Besonderheit auszeichnet, dass Sikhs dort die Aufgabe der "custodians" wahrnehmen, während Moslems die "Besitzer" der Moschee sind. Dass es in dieser Region keinen Streit zwischen den Religionen gibt, so Bhatti, zeige, dass Hüter des Erbes am besten arbeiten, wenn sie nicht ihr eigenes Erbe verwalten. Wenn auch in der Diskussion die allgemeine Übertragbarkeit dieser Verfahren angezweifelt wurde (nicht zuletzt unter Verweis auf das zurückhaltende Verhalten der USA angesichts der Plünderungen irakischer Museen während des letzten Irakkrieges), wurde damit der Leitgedanke, dass "Erbe" immer aus einer Vielfalt von Traditionen besteht und nichts Abgeschlossenes darstellt, sondern andauernd dynamisch und im Rahmen von Machtverhältnissen konstruiert wird, deutlich eingeführt.

Wie "Kulturerbe" in verschiedenen Medien konstruiert wird, stand im Zentrum der Präsentationen des ersten Konferenztages. Der Musikwissenschaftler Gernot Gruber (Wien) stellte angesichts erster musikbezogener Einträge in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste die Frage nach dem Umgang mit "flüchtiger" Musik als globalem und nationalem Erbe und zeigte am Beispiel des Topos "Musikland Österreich", dass die Auseinandersetzung über Musik als "Kulturerbe" noch immer stark von nationalen Identitätspolitiken und eurozentristischen Zugangsweisen geprägt ist. Elisabeth Großegger (Wien) wies auf die Ausblendung des Mediums Theater in aktuellen Kulturerbediskussionen hin. Beide Vorträge führten somit direkt in die Grundproblematik des Umgangs mit "Intangible Cultural Heritage" ein, dessen Schutz die UNESCO seit 2001 verstärkt Aufmerksamkeit widmet. Wie können lebendige, immaterielle kulturelle Praktiken und Traditionen geschützt werden, ohne dass dadurch ihr "Einguss in Bernstein" (Heidemarie Uhl), ohne dass dadurch eine Homogenisierung von Vielfalt erfolgt? Rosmarie Beier-de Haan (Berlin) zeigte in ihrem Beitrag über die Generierung von "Intangible Heritage" in Museen und Ausstellungen, dass es selbst in diesen auf konkrete Materialität ausgerichteten Medien Möglichkeiten und Wege gibt, "immaterielles Erbe" sichtbar zu machen und zu praktizieren; diese werden auch Thema des Internationalen Museumstages 2004 sein.

Einem im Zusammenhang mit der Diskussion um "Kulturerbe" eher vernachlässigten und unterschätzten Medium widmete sich Eva Tropper (Graz): der topographischen Ansichtskarte. Ansichtskarten bilden ab, was als kulturell wertvoll erachtet wird; sie kanonisieren bestimmte Motive und Perspektiven, filtern und steuern den Blick und generieren so "Kulturerbe" wesentlich mit. Am Beispiel Graz, dessen Altstadt 1999 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde und das im heurigen Jahr "Kulturhauptstadt Europas" ist, zeigte Tropper, wie der Postkartenblick auf die Stadt als Ganzes im 20. Jahrhundert zugunsten eines immer engeren, ins Zentrum der Stadt zoomenden Bildausschnitts aufgegeben wird und eine Hierarchisierung des Stadtraumes erzeugt, die klar erkennbaren Signalen den Vorzug gibt. Übrig bleiben wenige, aus jeglichem Kontext gelöste Bilder, die mit hohem Wiedererkennungswert als Träger einer lokalen Corporate Identity in der globalen Städtekonkurrenz eingesetzt werden können.

Wie unterschiedlich der Blick auf "Kulturerbe" von jenen sein kann, die mit der Fabrikation von "Weltkulturerbe" in der Praxis konfrontiert sind, wurde beim anschließenden Round-Table-Gespräch deutlich. Vor allem die Frage, in wie weit "Weltkulturerbe" Musealisierung und ein "Ende der Geschichte" bedeute, machte grundsätzliche Auffassungsunterschiede zwischen den anwesenden Vertretern des Bundesdenkmalamtes und ICOMOS Österreich einerseits und den VertreterInnen von Architekturtheorie und Architekturkritik andererseits sichtbar. Hauptbezugspunkt der Debatte war einmal mehr das Bauprojekt Wien Mitte: Während Wilfried Lipp (Bundesdenkmalamt, Präsident von ICOMOS Österreich) und Ernst Bacher (Bundesdenkmalamt) die negative Aufladung von "Schutz" und "Bewahrung" im öffentlichen Diskurs kritisierten und Vorwürfen einer "Petrifizierung" des Stadtbildes entgegegenhielten, dass eine solche weder Ziel der UNESCO, noch angesichts des geringen Prozentsatzes geschützter Objekte in Wien empirisch feststellbar sei, artikulierten Friedrich Achleitner (Architekturtheoretiker, Wien) und Ute Woltron (Architekturkritikerin, Wien) dennoch Bedenken, ob die Verleihung des "Weltkulturerbe"-Titels nicht doch häufig das Einziehen eines Zeitplafonds bedeute, ab dem keinerlei Veränderung mehr möglich sei; die Gefahr der Erstarrung der Wiener Innenstadt zur "3D-Postkarte" drohe. Unbehagen bereitete Achleitner auch das Argument der "Gefährdung": Wer gefährde die Wiener Innenstadt? Und liege nicht auch im Schutz Gefährdung, wenn die Verleihung des "Weltkulturerbe"-Titels eine Fokussierung von Touristenströmen zur Folge hat? Grundsätzliche Überlegungen, wie sie der Philosoph Robert Pfaller (Linz) zu Fragen des "Erbens" und Machtfragen der Durchsetzung partikularer Interessen durch deren Erklärung zu universalen Interessen einbrachte, blieben angesichts dieser konkret um das Beispiel Wien kreisenden Kontroversen eher im Hintergrund. Auf einer allgemeineren Ebene wurde jedoch die Ausweitung von "Weltkulturerbe" auf immaterielle Bereiche sowie die rasant wachsende Zahl der Weltkulturerbestätten problematisiert.

Wie Gábor Sonkoly (Budapest), der den zweiten Konferenztag eröffnete, treffend feststellte, zeigte die Diskussion, dass auch kritische Annäherungen an "Kulturerbe" nach wie vor stark von nationalen Bezugspunkten geprägt bleiben - was der Idee von "Weltkulturerbe" diametral entgegenstehe. Sonkoly verwies in seinem Beitrag auf die große Bedeutung, die "Heritage Building" als integrativer Praxis des "Nation Building" in den postkommunistischen Staaten Zentraleuropas seit 1990 zukommt; die Verdreifachung der Zahl der Weltkulturerbestätten in Zentraleuropa seit 1990 demonstriere einen starken Aufholbedarf in diesen Staaten. Während Sonkoly den Fokus seiner Analyse auf einschlägige nationale Identitätspolitiken der konservativen Partei in Ungarn legte, erweiterte Jacek Purchla (Kraków) die osteuropäische Perspektive um polnische Erfahrungen mit dem "Weltkulturerbe"-Status von Kraków und den dortigen Konflikten um die Vereinbarkeit dieses Status mit den Anforderungen an eine Weiterentwicklung städtischen Raumes. Akós Morávánszky (Zürich) stellte abschließend anhand von Beispielen aus der europäischer Denkmalkultur noch einmal grundlegende Überlegungen zur Materialität von "Erbe" vor und warf Fragen nach dem Umgang von Denkmälern mit den "Wunden der Erinnerung", der Sichtbarmachung von Zerstörung sowie der Patina und dem Altern auf: Was altern darf und was nicht, und ob diese Frage endgültig für alle Zeiten entschieden werden kann, ist nicht zuletzt ein zentraler Kern der allgemeinen Debatte um "Kulturerbe".

Die Konferenz, die auch Niederschlag in einem Tagungsband finden wird, bündelte somit zentrale Fragestellungen einer von interdisziplinären Zugangsweisen geprägten Forschung zum Thema "Kulturerbe" und machte wesentliche Koordinaten des Spannungsfeldes, in dem sich politische, ökonomische und wissenschaftliche Debatten um "Weltkulturerbe" bewegen, sichtbar, ebenso aber auch die Schwierigkeit der klaren Trennung von emphatischen und kritisch-analytischen Zugangsweisen in der Diskussion der Thematik. Eine Fortsetzung der Diskussionen dieser Tagung wäre wünschenswert, zeigten sie doch nicht zuletzt, dass endgültige Definitionen von "Kulturerbe" und eines idealtypischen Umgangs mit dem "Erbe" kaum möglich sind: Der Konflikt zwischen Bewahrung und Erneuerung ist wohl immer wieder von neuem zu verhandeln.